Vorige Seite Vorige Seite   Index   Nächste Seite Nächste Seite
 

LESEJAHR C

Die Zeit im Jahreskreis

15. SONNTAG IM JAHRESKREIS

 

Zur LeseordnungEVANGELIUM   Lk 10,25-37
 
Wer ist mein Nächster?
 
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
 
In jener Zeit
25 wollte ein Gesetzeslehrer Jesus auf die Probe stellen. Er fragte ihn: Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?
27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben.

Denn es gab einige Schwätzer, die im ganzen Land der Juden umherzogen und Christus beschuldigten und sagten, daß er das Gebot des Moses für unnütz halte, selbst aber manch andere Lehren einführe. Der Gesetzesgelehrte wollte also Jesus verführen, daß er etwas gegen Moses sage, und deshalb tritt er an Jesus heran, um ihn zu versuchen, indem er ihn Lehrer nennt, ohne doch von ihm belehrt werden zu wollen. Und weil der Herr gewohnt war, mit denen, die zu ihm kamen, über das ewige Leben zu sprechen, bedient sich der Gesetzesgelehrte seiner Redeweise. Und weil er ihn hinterlistig auf die Probe stellen wollte, hört er nichts anderes als was durch Moses verkündigt worden ist. (Cyrill)

Er gehörte nämlich zu denen, die sich selbst als gelehrt im Gesetz vorkommen, die sich an die Worte des Gesetzes halten, seinen Sinn aber nicht verstehen; und gerade an einem Abschnitt des Gesetzes belehrt er sie, daß sie das Gesetz nicht kennen, indem er nachweist, daß schon im Anfang das Gesetz den Vater und den Sohn verkündete und das Geheimnis der Menschwerdung des Herrn ankündigte. (Ambrosius)

In drei Teile aber wird die Seelenkraft unterschieden: Die eine nämlich bezieht sich auf die Vermehrung und Ernährung, die sich auch in den Pflanzen findet; die zweite bezieht sich auf das Gefühl und findet sich auch in der Natur der nicht mit Vernunft begabten Lebewesen; die vollendete Kraft der Seele aber ist die vernunftgeleitete, die man in der menschlichen Natur sieht. Wenn er also "Herz" sagte, drückte er die körperliche Wesenheit aus, d. h. die nährende; wenn er aber von der "Seele" spricht, meint er die mittlere, d. h. die gefühlsmäßige; wenn er aber vom "Gemüt" spricht, meint er die höhere Natur, d. h. die Kraft des Erkennens und Betrachtens. (Gregor von Nyssa)

Hier muß man also erkennen, daß wir unsere ganze Kraft der Seele auf die Liebe zu Gott ausrichten müssen, und zwar kraftvoll und nicht nachlässig. (Theophylactus)

Wenn aber jemand fragt, wie man die göttliche Liebe erlangen kann, so werden wir antworten, daß man sie nicht lehren kann; denn wir haben auch nicht von einem anderen gelernt, uns über die Anwesenheit des Lichtes zu freuen oder das Leben hoch zu schätzen oder die Eltern oder Kinder zu lieben und noch weniger haben wir die Lehre der göttlichen Liebe gelernt, sondern eine Art geistiger Samen ist tief in uns eingepflanzt, der in sich die Ursache trägt, daß der Mensch Gott anhängt. Die göttlichen Vorschriften lehren uns immer wieder, diesen Grund sorgfältig zu bebauen und behutsam zu pflegen und ihn zur Vollkommenheit göttlicher Gnade zu führen. [...]
Dieses ist also das erste und wichtigste Gebot der göttlichen Liebe; ein zweites aber ergänzt das erste und ist von ihm erfüllt, in dem wir ermahnt werden, den Nächsten zu lieben; daher folgt: und den Nächsten wie dich selbst . Wir bekommen aber von Gott die Fähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Wer weiß nicht, daß der Mensch ein sanftmütiges und ein auf Gemeinschaft angelegtes Wesen ist, kein Einzelgänger und voll Rohheit? Nichts ist nämlich für die menschliche Natur so typisch wie mit einander sich auszutauschen, auf einander angewiesen zu sein und das Verwandte zu lieben. Wozu nämlich der zuvorkommende Herr uns die Samen anvertraut hat, davon verlangt er konsequenterweise die Früchte. (Basilius der Große)

Betrachte aber, wie er mit demselben Nachdruck beide Gebote einfordert! Von Gott sagt er nämlich: Mit deinem ganzen Herzen, und vom Nächsten sagt er: wie dich selbst; wenn man dies genau beachten würde, dann gäbe es weder Sklaven noch Freie, weder Sieger noch Besiegte, weder Reich noch Arm und auch der Teufel wäre nicht bekannt; denn eher würde das Stroh den Brand des Feuers aushalten als der Teufel die Glut der Liebe; so sehr überwindet alles eine unwandelbare Liebe. (Chrysostomus)

Wenn es aber heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wie kann da jener ein aufrichtiges Erbarmen mit dem Anderen haben, der auf Grund seines bisherigen ungerechten Lebens mit sich selbst kein Erbarmen hat? (Gregor der Große)

29 Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster?

Dadurch, daß er fragt: Wer ist mein Nächster?, zeigt der Gesetzesgelehrte sich leer von der Liebe zum Nächsten, weil er nicht glaubt, daß er einen Nächsten habe; und folglich ist er auch ohne Liebe zu Gott; denn weil er seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann er auch Gott nicht lieben, den er nicht sieht. (Cyrill)

Er antwortete auch, daß er seinen Nächsten nicht kenne, weil er nicht an Christus glaubte; und wer Christus nicht kennt, kennt auch das Gesetz nicht. Denn da er die Wahrheit nicht kennt, wie kann er dann das Gesetz kennen, das doch die Wahrheit verkündet? (Ambrosius)

30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen.
31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter.
32 Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter.

Man kann unter dem Priester und Leviten zwei Zeiten verstehen, nämlich die des Gesetzes und die der Propheten; beim Priester ist das Gesetz, durch das das Priestertum und die Opfer eingesetzt worden sind, beim Leviten aber liegt die Weissagung der Propheten; zu ihren Zeiten konnte das Menschengeschlecht nicht geheilt werden, weil durch das Gesetz die Erkenntnis der Sünde möglich ist, nicht aber ihre Tilgung. (Augustinus)

33 Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid,

Es kam ein Samariter vorbei, der der Abstammung nach ihm fern stand, der Barmherzigkeit nach ihm aber der Nächste war. [...] Unter diesem Samariter wollte sich unser Herr Jesus Christus selbst verstanden wissen; denn "Samariter" wird als "Wächter" erklärt und über diesen wird gesagt: Es wird nicht ruhen noch schlafen, der Israel bewacht [vgl. Ps 121, 3], weil er - von den Toten auferstanden - nicht mehr stirbt [vgl. Röm 6, 9]. (Augustinus)

Hier aber nennt sich Christus passend Samariter; denn da er den Gesetzesgelehrten, der sich mit dem Gesetz brüstet, ansprach, wollte er ausdrücken, daß nicht der Priester, auch nicht der Levit und die sich sonst mit dem Gesetz beschäftigen, die Vorschrift des Gesetzes erfüllen, sondern er kam selbst, um die Gesetzesvorschrift zu vollbringen. (Graecus)

34 ging zu ihm hin, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
35 Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.

Das Verbinden der Wunden bedeutet die Zügelung der Sünden, das Öl bedeutet den Trost der rechten Hoffnung durch die Nachsicht, die Gott schenkt, um wieder Frieden zu stiften; der Wein aber bedeutet die Aufforderung, sehr eifrig im Geiste zu wirken. (Augustinus)

Oder er goß Wein hinein, d. h. das Blut seines Leidens und das Öl des Chrisams, damit Vergebung geschenkt werde durch das Blut, Heiligung aber verliehen werde durch die Salbung mit Chrisam [sc. in der Taufe]. Vom himmlischen Arzt werden die verwundeten Stellen verbunden und durch die Aufnahme und Wirkung der Arznei die frühere Gesundheit zurückgegeben. (Chrysostomus)

Das Lasttier aber ist sein Fleisch, durch das er zu uns kommen wollte; auf das Lasttier gelegt werden heiß also: an die Menschwerdung Christi selbst glauben.(Augustinus)

Oder er legte ihn auf sein Lasttier, d. h. auf seinen Leib; denn er machte uns zu seinen Gliedern und teilhaftig an seinem Leib. (Theophylactus)

Denn die Herberge ist die Kirche, die die aufnimmt, die auf dem Weg der Welt erschöpft und von der Last ihrer Sünden ermüdet kommen; dort wird die Last der Sünden abgelegt und der müde Wanderer erfrischt und durch heilsame Nahrung wieder hergestellt; und das ist es, was gemeint ist mit den Worten: Und er kümmerte sich um ihn. Denn alles, was gegensätzlich, schädlich und schlecht ist, bleibt draußen, weil innerhalb der Herberge vollkommene Ruhe und Heil ist. (Chrysostomus)

36 Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?
37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!

Nachdem der Herr dies vorausgeschickt hat, fragt er nun passend den Gesetzesgelehrten: Wer von diesen dreien scheint dir der Nächste gewesen zu sein für den, der unter die Räuber gefallen ist? Jener aber antwortete: Der Mitleid mit ihm hatte. Denn weder der Priester noch der Levit wurde zum Nächsten des Leidenden, sondern jener, der sich seiner erbarmt hat; denn wertlos ist die Würde des Priestertums und die Wissenschaft des Gesetzes, wenn sie nicht durch gute Werke bekräftigt wird. (Cyrill)

Als ob er sagen wollte: Wenn du jemanden unterdrückt siehst, dann sage nicht: Der ist ja ein Taugenichts; sondern, egal ob Heide oder Jude, wenn er Hilfe braucht, dann suche keine Ausflüchte ihm zu helfen, was auch immer ihm Schlimmes widerfahren ist. (Chrysostomus)

Denn nicht die Verwandtschaft macht den Nächsten, sondern die Barmherzigkeit, weil die Barmherzigkeit der [menschlichen] Natur entspricht; nichts aber ist so naturgemäß wie dem zu helfen, der uns durch die Natur verbunden ist. (Ambrosius)

Der Erlöser aber bestimmt den Nächsten nicht nach seinen Taten oder seinen Würden, sondern nach der Natur, gleich als ob er sagen will: Glaube nur ja nicht, daß du keinen Nächsten hast, wenn du auch noch so gerecht sein magst; denn alle sind deine Nächsten, die dieselbe Natur wie du haben. Werde also auch du ihr Nächster, nicht nur räumlich, sondern in Zuneigung und Sorge um sie! Und zu diesem Zweck führt er den Samariter als Beispiel an.(Theophylactus)

 
Vorige Seite Vorige Seite Zum Seitenanfang  Zum Seitenanfang  Zum Seitenanfang Nächste Seite Nächste Seite