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LESEJAHR A

Die Zeit im Jahreskreis

24. SONNTAG IM JAHRESKREIS

 

Zur LeseordnungEVANGELIUM   Mt 18,21-35
 
Nicht nur siebenmal mußt du vergeben, sondern siebenundsiebzigmal
 
Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus
 
In jener Zeit
21 trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muß ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal?
22 Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.

Petrus dachte, er sage etwas Großes. Aber was Christus, der die Menschen liebt, antwortete, folgt. (Pseudo-Chrysostomus)

Ich wage zu sagen: Und wenn er achtundsiebzigmal sündigt, sollst du vergeben; und wenn er hundertmal sündigt; und wenn er noch so oft gesündigt hat, vergib. Wenn nämlich Christus tausend Sünder vorfand und dennoch alles vergeben hat, dann darfst du [ihnen] die Barmherzigkeit nicht entziehen. Der Apostel sagt nämlich: "Vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!" (Kol 3,13) (Augustinus)

Oder man liest hier: siebenmal siebzigmal, d.h. entsprechend den 490 [Arten von] Lastern. Man soll also dem Bruder, der sündigt, auf so viele Weisen vergeben, als er sündigen kann. (Hieronymus)

Anders verzeiht man nämlich dem Bruder, der darum bittet: durch die gemeinsame Liebe verbunden kann er [wieder] mit uns zusammenleben, so wie Joseph mit seinen Brüdern. Anders verzeiht man dem Feind, der einen verfolgt: man wünscht ihm Gutes, und - wenn es möglich ist - tut man es ihm auch, wie David, der über Saul trauerte. (Hrabanus)

23 Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloß, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen.

So wie der Sohn Gottes die Weisheit, die Gerechtigkeit und die Wahrheit ist, so ist er auch selbst das Reich Gottes. Er herrscht dabei nicht über irgend jemanden, der hier unten [auf der Erde] ist, sondern er herrscht über die, die droben sind, das heißt über diejenigen, in deren Gesinnung die Gerechtigkeit und die übrigen Tugenden herrschen. Sie haben am Himmel Anteil, weil sie das Bild des Himmels in sich tragen. Und dieses Himmelreich, das der Sohn Gottes ist, ist einem menschlichen König vergleichbar geworden, als "er die Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht" (Röm 8,3) annahm und sich mit dem Menschen verband. (Origenes)

Oder unter dem Himmelreich versteht man die heilige Kirche, in der der Herr das wirkt, wovon in diesem Gleichnis gesprochen wird. Wenn aber [in den Gleichnissen] von einem Menschen gesprochen wird, so kann das einmal für Gottvater stehen, wie dort, wo es heißt: "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete" (Mt 22,2-14), ein andermal aber wird dadurch der Sohn bezeichnet. An dieser Stelle aber ist beides möglich, man kann hier sowohl den Vater wie auch den Sohn, die ja ein Gott sind, bezeichnet sehen. Gott aber wird König genannt, weil er alles, was er geschaffen hat, lenkt und leitet. (Remigius)

24 Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war.

Oder die Diener dieses menschlichen Königs stehen für alle Menschen, die er geschaffen hat, damit sie ihn loben, und denen er das Naturgesetz gegeben hat; er "verlangt Rechenschaft von ihnen", wenn er Leben, Sitten und Taten der einzelnen untersucht, um jedem nach dem, was er getan hat, seinen Lohn zu geben.Vgl. z.B. 2 Kor 5,10 Deshalb folgt: "Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war." (Remigius)

Wir werden alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen, und es wird vom König Rechenschaft über unser ganzes Leben verlangt werden. Wir möchten dadurch aber nicht den Verdacht aufkommen lassen, daß dies vielleicht eine sehr lange Zeit in Anspruch nimmt. Wenn Gott, die Gesinnung aller untersuchen will, dann wird er es durch seine unaussprechliche Kraft so einrichten, daß jedem einzelnen alles was er zu irgendeinem Zeitpunkt getan hat in den Sinn kommt. Zwar heißt es: "Als er nun mit der Abrechnung begann", aber der "Beginn des Gerichtes" bedeutet hier, daß "es beim Haus Gottes beginnt".1 Petr 4,17: 'jetzt ist die Zeit, in der das Gericht beim Haus Gottes beginnt, ...' - d.h. das Gericht hat jetzt in dieser Zeit schon begonnen und es ist die Kirche, an der (und durch die) das Gericht stattfindet. Zuerst soll der Rechenschaft ablegen, der [dem König] viele Talente schuldet, d.h. der viel Schaden angerichtet hat; dem viel anvertraut war und der keinen Gewinn gebracht hat,Vgl. Mt 25,14-30 der vielleicht so viele Menschen ins Verderben gestürzt hat, als er Talente schuldig ist. Und so viele Talente schuldet er, weil er der Frau gefolgt ist, die auf dem Talent aus Blei sitzt und deren Name Ungerechtigkeit ist.Vgl. Sach 5,6-8 (Vg): ... ein Deckel aus Blei (talentum plumbi) wurde (von dem Faß) gehoben, und in dem Faß saß eine Frau. Er sagte: Das ist die Ruchlosigkeit ... - 'Talent' ist hier als Gewichtseinheit (ca. 26,5 kg) für die Masse des Deckels verstanden. (Origenes)

25 Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen.

Das befiehlt er nicht aus Grausamkeit, sondern aus unaussprechlicher Zuneigung heraus. Er will ihn nämlich durch diese Drohung erschrecken, damit er um Gnade bittet und nicht verkauft wird. Und so geschah es dann auch, wie es im folgenden heißt: (Chrysostomus, In Matth.)

26 Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen.
27 Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld.

Sieh aber das Überfließen der göttlichen Liebe: der Diener bittet allein um einen Aufschub; doch er gibt ihm mehr als er erbeten hat: er vergibt ihm und erläßt ihm das ganze Darlehen. Das wollte er von Anfang an tun, aber er wollte nicht, daß es allein sein Geschenk sei, sondern auch, daß der andere darum bittet, so daß er nicht ohne Lohn davongeht. Darum hat er ihm die Schuld auch nicht nachgelassen, noch bevor er Rechenschaft verlangte, denn er wollte ihm bewußt machen, von wie vielen Schulden er ihn befreit hat, so daß er dadurch mit seinen Mitdienern sanftmütiger umgehe. Und bis hierher zeigte er sich auch dessen würdig, was ihm versprochen worden war, denn er gestand seine Schuld ein, versprach, sie zurückzuzahlen, und bat auf Knien [um Erbarmen]; er erkannte also die Größe seiner Schuld. Doch, was er dann tat, war dieser ersten Taten nicht würdig. Es folgt nämlich: (Chrysostomus)

28 Als nun der Diener hinausging, traf er einen anderen Diener seines Herrn, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: Bezahl, was du mir schuldig bist!

Es heißt, "er schuldete ihm hundert Denare". Das kommt von der Zahl Zehn, der Zahl der Gebote [Mose], denn hundert Mal Hundert sind Zehntausend und zehn Mal Zehn sind Hundert. Jene 10.000 Talente und jene 100 [Denare] beziehen sich also auf die Zahl der Gebote, d.h. beide haben sich dagegen vergangen, beide sind sie Schuldner und beide müssen um Nachsicht bitten. Jeder Mensch ist nämlich ein Schuldner gegenüber Gott und gegenüber seinem Bruder. (Augustinus, De Verbo Dom.)

Die Größe der Vergehen, die wir gegen die Menschen begehen, und derer, die wir gegen Gott begehen, unterscheidet sich, wie sich die 10.000 Talente von den 100 Denaren unterscheiden. Das eine ist viel größer und viel mehr als das andere. Das wird deutlich an der Person, gegen die wir sündigen, und an der Anzahl, wie oft wir sündigen. Wenn uns ein Mensch bei einem Fehltritt beobachtet, dann lassen wir davon ab und wir schämen uns; doch auch wenn uns Gott jeden Tag dabei zusieht, hören wir nicht auf damit, sondern machen und reden genauso weiter, ohne irgendeine Scheu zu haben. Doch nicht allein deswegen sind die Sünden gegen Gott größer, sondern auch wegen der Wohltaten, die wir von ihm bekommen haben: er hat uns ja geschaffen und tut alles um unseretwillen: er hauchte uns eine Vernunft-Seele ein, er schickte seinen Sohn, er tat uns den Himmel auf und machte uns zu seinen Söhnen. Selbst wenn wir jeden Tag für ihn sterben würden, könnten wir ihm dadurch etwas Entsprechendes zurückgeben? Keineswegs, sondern vielmehr wäre auch das wieder nur zu unserem Vorteil. Doch wir verstoßen im Gegenteil [noch] gegen seine Gebote. (Chrysostomus, In Matth.)

Jener undankbare, ungerechte Diener wollte dem anderen nicht dasselbe zugestehen, was ihm Unwürdigen gewährt worden war. Es folgt nämlich: "Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du mir schuldig bist!" (Augustinus)

29 Da fiel der andere vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen.
30 Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.
31 Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war.
32 Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast.
33 Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?
34 Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe.

Sieh die Liebe des Herrn und die Grausamkeit des Dieners: dieser wegen zehntausend Talenten, jener wegen hundert Denaren. Jener bat den Mitdiener, dieser den Herrn. Dieser hat völlige Lossprechung empfangen, jener hatte nur um einen Aufschub gebeten, und nicht einmal den gewährte er ihm. Die, die nichts schuldig waren, aber hatten Mitleid. Daher folgt: "Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt." (Chrysostomus, In Matth.)

Mit den Mitdienern ist die Kirche gemeint, die jenen löst und jenen bindet. (Augustinus)

Vielleicht sind unter den Mitdienern auch die Engel zu verstehen, oder die Prediger der heiligen Kirche, oder alle Gläubigen, die einen Bruder sehen, der nach Erlangung der Vergebung der Sünden kein Mitleid mit seinen Mitdienern haben will, und über sein Verlorensein traurig sind. Es folgt: "Sie gingen zu ihrem Herrn uns berichteten ihm alles, was geschehen war." Sie kommen freilich nicht physisch, sondern mit ihrem Herzen. Dem Herrn berichten aber bedeutet, Schmerz und Traurigkeit des Herzens in seinem Gefühl zeigen. Weiter folgt: Da ließ ihn sein Herr rufen. Er rief ihn aber, indem er ihm den Tod ansagte und ihn hieß, aus dem Leben zu scheiden. Und er sagte ihm: "Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast." (Remigius)

Man beachte auch, daß - wie man liest - jener Knecht dem Herrn keine Antwort mehr gegeben hat. Das zeigt, daß es an jenem Tag des Gerichts (und auch unmittelbar nach diesem Leben) keine Ausflüchte und Entschuldigungen mehr geben wird. (Remigius)

Weil er ihn dadurch, daß er ihm Gutes tat, nicht zum Besseren bekehren konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn durch Strafe wieder auf den richtigen Weg zu bringen [...] (Chrysostomus, In Matth.)

35 Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.

Gott sagt nämlich: "Erlaßt einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden" (Lk 6,37). Ich habe zuerst vergeben, vergib nachher auch du. Denn wenn du nicht vergibst, versetze ich dich in den früheren Stand zurück, und was immer ich dir erlassen habe, erlege ich dir wieder auf. Christus täuscht nämlich weder noch wird er getäuscht, und er fügt hinzu: "Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt." Es ist nämlich besser, wenn du zwar mit dem Mund laut klagst, aber im Herzen vergibst, als wenn du zwar mit dem Mund freundlich, aber im Herzen grausam bist. Deshalb fügt der Herr hinzu "von ganzem Herzen", damit, wenn ihr aus Liebe eine Züchtigung auferlegt, die Milde nicht aus eurem Herzen weiche. Denn was ist so liebevoll pflichtbewußt, wie ein Arzt, der sein Instrument bringt? Er wütet in der Wunde, um den Menschen zu heilen; würde er [stattdessen] die Wunde nur streicheln, so wäre dieser Mensch verloren. (Augustinus)

 
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